Christine Fliri und Susanne Stein im Interview
„Bildung ist die Grundvoraussetzung!“
Im Interview in der Ende 2023 neu eröffneten „MANZ Beletage“ spricht die ehemalige MANZ-Gesellschafterin Christine Fliri mit ihrer Nichte Susanne Stein und Christopher Dietz über die Jahre ihrer Ausbildung zur Juristin und Buchhändlerin, über die Rolle der Frau in der Rechtsbranche und über das 175-Jahre-Motto von MANZ, „Innovationen für Generationen“.


Susanne Stein: Du hast in den 1960er-Jahren Jus studiert – wie war das damals?
Nach der Matura 1957 begann ich zuerst eine Buchhandelslehre, die auch den Besuch der Berufsschule vorsah. Ich hatte ja bereits als Schülerin in den Ferien in der Buchhandlung MANZ gearbeitet. Während der Lehre inskribierte ich dann zusätzlich Jus an der Juridischen Fakultät in Wien. Während meiner Studienzeit gab es – im Vergleich zu heute – viele Freiheiten. Man musste zum Beispiel nur die vorgeschriebenen Pflichtübungen absolvieren, Vorlesungen musste man gar nicht besuchen!
Susanne Stein: Dennoch, Lehre und Jus-Studium, warum hast du beides gemacht?
Die Lehre absolvierte ich, um die Firma von innen kennenzulernen und um die Konzession zu erhalten. Ich hatte aber immer schon den Wunsch, zu studieren, daher das Jus-Studium. Die 1. Staatsprüfung absolvierte ich nach einem halben Jahr. Danach folgten ein Auslandsaufenthalt und die 2. Staatsprüfung. Beim Studium habe ich auch meinen späteren Ehemann Dr. Anton Fliri kennengelernt. Er wurde später Landesgerichtspräsident in Vorarlberg.
Dass es Jus geworden ist, hing damit zusammen, dass ich schon damals große Achtung vor dem Rechtswesen und dem Gesetz verspürte hatte. Außerdem war es Familientradition …
Susanne Stein: Du warst allerdings die erste Frau in der Familie Stein, die Jus studiert hat. Hat sich die Rolle der Frau in den Rechtsberufen aus deiner Sicht seither verändert?
Eigentlich waren damals Frauen und Männer sowohl im Studium als auch in der Gerichtspraxis gleichgestellt. Es gab aber in den 1960ern nur eine Handvoll Frauen, die Jus inskribierten. Dementsprechend gelang es nur wenigen, Rechtsanwältin zu werden oder eine leitende Stellung in einem öffentlichen Amt zu erlangen.
Meine persönliche Erfahrung war damals eher ernüchternd. Als meine Gerichtspraxis zu Ende war und obwohl ich ein sehr gutes Zeugnis bekommen hatte, meinte mein damaliger Vorgesetzter, der Landesgerichtspräsident, zu mir: „Sie werden wohl daheim bleiben und Kinder bekommen wollen?“
Die Vorstellung, dass sich ein juristischer Beruf und eine Familie mit Kindern für eine Frau vereinbaren lassen, brauchte lange Zeit für ihre Durchsetzung. Heute sind es immerhin statistisch gesehen schon mehr Frauen als Männer, die Jus studieren und sich in juristischen Berufen bewerben.
Ich glaube, ganz grundsätzlich, egal ob Frau oder Mann, ist die Grundvoraussetzung, um in leitenden Positionen Fuß zu fassen, Bildung. Bildung in Politik, Wissen um Sozialstrukturen, Ökonomie usw. In Familienunternehmen ist es natürlich auch wichtig, die jeweiligen Familientraditionen zu kennen.
Christopher Dietz: Womit wir beim MANZ Verlag wären, der sich seit fünf Generationen im Besitz Ihrer Familie befindet und von ihr geleitet wird… Ihr Vater war Robert Stein, der den Verlag MANZ nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut hat, Ihr Bruder Franz Stein, ein Innovationen gegenüber sehr aufgeschlossener Mann. Haben Sie Erinnerungen an die Zeit mit den beiden?
Der wesentliche Verdienst meines Vaters Robert Stein war, wie Sie schon sagten, der Aufbau der Firma nach 1945. In der Zeit des Wiederaufbaus war es wichtig, wieder eine Verbindung zu den versprengten Kolleginnen und Kollegen aufzubauen. Der Wiedereinzug in das „Buchgewerbehaus“ in der Grünangergasse ermöglichte es, gemeinsam wichtige Aufgaben zu lösen, wie Papierbezug, Erlangung einer Konzession, Beschäftigungsausweise usw. Vieles davon war ja durch die Alliierten reglementiert, und die Ressourcen waren äußerst knapp.
In regelmäßigen Abständen trafen sich die Buchhändler. „BuTaRu“ hat man in der Familie dazu gesagt – „Buchhändlertafelrunde“. Die Verbindung der Verleger und Buchhändler unter- und miteinander war sehr wichtig in dieser Zeit, in der sich die politische Landschaft zwischen den Alliierten und dem österreichischen Staat und seinen Parteien neu herausbildete.
Für seine Tätigkeit im Verlagswesen brauchte Robert Stein großes politisches Feingefühl – und Kontakte zu den jeweiligen Ministern und Professoren. Veröffentlichungen in der Sparte Schulbuch, die ja damals auch noch zu MANZ gehörte, wurden direkt vom Staat autorisiert.
Um die prekäre Situation der damaligen Zeit zu illustrieren, möchte ich an das „Bundesgesetz über die Bekämpfung unzüchtiger Veröffentlichungen und den Schutz der Jugend gegen sittliche Gefährdung“ erinnern. Im „Anzeiger des österreichischen Buchhandels“ erschienen Listen mit jenen Büchern, die nicht verbreitet werden durften, bei Androhung von Strafen und Konzessionsentzug! Heute, in Zeiten des Internets, ist kaum mehr vorstellbar, was für eine Rolle damals das auf Papier gedruckte Wort spielte.
Susanne Stein: Keine leichte Zeit für Verleger!
Wichtig war es jedenfalls, für die im Parlament beschlossenen Gesetze rasch gute Autoren für gute Gesetzesausgaben zu finden und diese dann möglichst schnell, aber in absolut zuverlässiger Qualität, auf den Markt zu bringen. Das war damals nicht viel anders als heute.
Aufbauend auf der Arbeit unseres Vaters hatte mein Bruder Franz Stein dann das große Ziel, Transparenz in die Firma MANZ und deren Organisation zu bringen. Nach seinem Betriebswirtschaftsstudium an der Hochschule für Welthandel übernahm er 1970, nach dem plötzlichen Tod unseres Vaters Robert, die Firma. Zum Unternehmen gehörten der juristische Verlag, der Schulbuchverlag, die Buchhandlung und die Druckerei..
Die Digitalisierung war ihm ein großes Anliegen. Schon 1982 wurde in der MANZ’schen Buchdruckerei von Bleisatz auf Computersatz umgestellt. Damals, in den 1980er-Jahren, beschäftigten sich allenfalls Banken mit der Einführung von Personal Computern. Franz war aber davon überzeugt, dass man sich möglichst bald damit vertraut machen müsse, und organisierte für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Einführungskurse für die Arbeit am PC.
Christopher Dietz: Eine der vielen „Innovationen für Generationen“… Auf Franz Steins Innovationsgeist ging ja auch die Gründung der RDB Rechtsdatenbank zurück?
Ja, 1986 durch MANZ, Orac und mit Unterstützung der Giro Kredit. Heute ist die RDB ja aus der Rechtswelt ja nicht mehr wegzudenken. Aber es dauerte natürlich eine gute Zeit, bis sich dieses Geschäft zu einer guten Investition entwickelte, da war ein langer Atem nötig. Damit tun sich Familienunternehmen leichter also solche, deren Führungsebene alle paar Jahre ausgetauscht wird.
Susanne Stein: Wie wurde die RDB nach ihrer Gründung im Jahr 1986 aufgenommen?
An den Gerichten wurde die RDB mit zunehmender Digitalisierung der Justiz ein Thema. Natürlich hatten die Richterinnen und Richter immer die wichtigsten gedruckten Zeitschriften zur Verfügung, aber allmählich setzten sich die Online-Angebote durch.
Und weil wir vorhin über Frauen in Rechtsberufen gesprochen haben: Laut Statistik nutzen in den Rechtsanwaltskanzleien und Notariaten heute mehr Frauen als Männer die digitalen Angebote!
Susanne Stein: Liebe Tante Christine, danke für diese Einblicke. Gibt es etwas, dass du „deinem MANZ“ für die nächsten 175 Jahre wünschst?
Ich wünsche natürlich dem MANZ Verlag viel Erfolg und der fünften Generation, meinen Kindern, Neffen und Nichten weiterhin verlegerisches Geschick!