Das Wiener Modell zur Anglo-Amerikanischen Rechtssprache
Warum juristische Fachsprachenkompetenz auf der Kenntnis des jeweiligen Rechtssystems aufbaut und wie man beides in Österreich erlernen kann.
Vienna LLP (Vienna Legal Language Proficiency Certificate)
Das Vienna LLP ist Zertifizierungsstandard und Benchmark für die einschlägige umfassende und systematische Ausbildung in der Anglo-Amerikanischen Rechtssprache im deutschsprachigen Raum.
Prüfungsinhalt
Teil 1: Civil Law & Business Law (Vol 1) oder
Teil 2: Public Law & Related Fields of Law (Vol 2)
oder Gesamtprüfung (comprehensive exam) über beide Teile sowohl US- als auch UK-Perspektive zusätzlich frei wählbar entweder deutsches oder österreichisches Recht (oder beides)
Literaturtipp
Heidinger/Hubalek, The Practitioners’ Guide to Applied Comparative Law and Language Vol 1 & 2 (2020).
Autor*innen
RA Prof. MMag. Franz J. Heidinger, LL.M. (Virginia), ist Rechtsanwalt und Partner bei Alix Frank Rechtsanwälte GmbH sowie Lehrbeauftragter an der Universität Wien und an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Mag.a Jasmin Malekpour-Augustin ist Lehrbeauftragte an der Universität Wien und an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Anglo-American Legal English ist längst zum festen Bestandteil der täglichen juristischen Arbeit in Österreich geworden. Um in fast allen juristischen Branchen und Fachbereichen reüssieren zu können, ist nicht nur solide Fachsprachkompetenz, sondern auch ein tiefgreifendes Verständnis des Anglo-Amerikanischen Rechtssystems heute unerlässlich. Hierfür bietet das Wiener Modell ein umfassendes Ausbildungskonzept samt Zertifizierung durch das Vienna Legal Language Proficiency Certificate (Vienna LLP) für Studierende und Praktiker*innen.
Die Anglo-Amerikanische Rechtssprache ist die am meisten verbreitete internationale juristische Fachsprache und somit die unumstrittene Weltführerin unter den Rechtssprachen der globalisierten Welt. Auch vom vermeintlich rein österreichischen juristischen Markt ist die Anglo-Amerikanische Rechtssprache nicht mehr wegzudenken. Ganz im Gegenteil, grenzüberschreitende Sachverhalte, transnationale Transaktionen und internationale Schiedsgerichtsbarkeit sind heute fixer Bestandteil in der täglichen Praxis österreichischer Jurist*innen aller Branchen und Rechtsgebiete. Unzählige Tochtergesellschaften internationaler Konzerne, deren Konzernsprache Englisch ist, sind in Österreich angesiedelt und bieten vielen heimischen Jurist*innen spannende Tätigkeitsbereiche an, ebenso wie die vielen internationalen Organisationen, die ihren Sitz in Wien haben. Reines Schulenglisch ist zu wenig, um in diesem Umfeld zu reüssieren. Angebote für Fachsprachenkurse gibt es zwar mittlerweile immer mehr am heimischen Markt, umfassende Ausbildungskonzepte sind aber trotzdem immer noch rar, obwohl sie die einzige sinnvolle Möglichkeit bieten, nicht nur einige Fachvokabeln zu lernen, sondern fundierte Kenntnis des US-amerikanischen und britischen Rechtssystems zu erlangen. Denn ohne dieses Fundament sind Verständnis- und Anwendungsprobleme in der juristischen Fachsprache vorprogrammiert.
Anders als in anderen Fachsprachen, wie etwa der medizinischen, erweist sich das Verständnis von fremden Rechtssystemen und Begriffen als unerlässlich für eine professionelle Verständigung auf hohem Niveau. Während beispielsweise in der medizinischen Fachsprache die allgemeine Bezeichnung Hautkrebs eindeutig als skin carcinoma (natürlich näher bestimmt durch Klassifizierungen etc) zu übersetzen ist, gibt es für manche Rechtskonstrukte keine Entsprechung in anderen Jurisdiktionen, andere Begriffe unterscheiden sich stark zwischen den einzelnen Rechtssystemen. So gibt es im österreichischen und deutschen Recht keine, aus Filmen und Serien mittlerweile auch bei uns bekannte, US-amerikanische pre-trial discovery und die österreichische Privatstiftung entspricht rechtlich nicht dem anglo-amerikanischen trust, auch wenn sie oftmals – fälschlich – so übersetzt wird.
Besonders im Arbeitsalltag in Anwaltskanzleien und Notariaten können derartige Differenzen fatale Folgen für Mandant*innen haben und im schlimmsten Fall auch haftungsrechtliche Risiken für Anwält*innen und Notar*innen bergen. Gerade im Bereich des Gesellschaftsrechts wird dies besonders deutlich: Selbst wenn die zwingend erforderliche und rechtlich bindende Version von Verträgen, beispielsweise Generalversammlungsbeschlüssen, in deutscher Sprache zu verfassen ist, ist es regelmäßig erforderlich, für nichtmuttersprachliche Mandant*innen eine englische Version abzufassen, um den Vertragsinhalt verständlich zu machen. Konzipient*innen, die eigenständig in der Lage sind, derartige Übersetzungen fachlich kompetent und sprachlich korrekt anzufertigen, ermöglichen nicht nur eine erhebliche Zeitersparnis, sondern sind ein positiver ökonomischer Faktor, deren Leistung direkt und unkompliziert an Mandant*innen weiterverrechnet werden kann. Darüber hinaus reduziert die Bearbeitung beider Texte, des deutschen und des englischen, durch ein und dieselbe Person Inkonsistenzen und schont begrenzte zeitliche Ressourcen durch den Wegfall der Kommunikation mit Übersetzungsbüros. Ein tiefgreifendes, über reine Kenntnis von Fachterminologie hinausgehendes, Verständnis des Rechtssystems von Verhandlungspartner*innen verschafft darüber hinaus zB in Vertragsverhandlungen den nötigen Vorsprung, um nicht bloß reagieren zu können, sondern um dem Gegenüber stets einen Schritt voraus zu sein und dessen weitere Vorgehensweise antizipieren zu können.
Aber nicht nur bei grenzüberschreitenden Verhandlungen oder Vertragsgestaltungen ist Fachsprachenkompetenz gefordert. In-house Counsel, Mediator* innen, Anwält*innen, Notar*innen und alle anderen Jurist*innen üben ihre Tätigkeit in einer Welt aus, die sich in konstanter Bewegung befindet und in der transnationales Arbeiten Standard ist. Der dadurch zunehmende Bedarf an rechtlicher Beratung erfordert ein proaktives Gestalten rechtlicher Beziehungen. Dies beginnt bereits nmit?n der umfassenden Vorbereitung von Kund*innen oder Mandant*innen und erfordert, dass, wenn trotzdem ein Fauxpas geschieht – etwa, wenn ein Vorstandsmitglied einer großen österreichischen Gesellschaft in einer Telefonkonferenz die USamerikanischen Anwält*innen der Gegenseite fragt „So, tell me, is the contract guilty?“ – diese Personen souverän vom juristischen Glatteis geholt werden können. Nur wer tiefgreifende Kenntnis des fremden Rechtssystems hat, kann diesen Anforderungen voll Genüge leisten, wenn aktuelle legistische Entwicklungen nicht nur wahrgenommen, sondern auch in ihrer vollen juristischen Tragweite erfasst werden können.
Wer Rechtssprachen korrekt verwenden möchte – sei es zum Übersetzen, um das eigene Recht in einer fremden Sprache zu beschreiben, bei Vertragsverhandlungen in einer Fremdsprache etc – muss in der Lage sein, die kryptische Botschaft des fremden Rechts nicht bloß wortwörtlich in einer anderen Rechtssprache wiederzugeben, sondern sie auch zu interpretieren. Denn ohne diese Interpretation wird sich ihr wahrer Sinn nicht erschließen. Für die effektive Vermittlung rechtlicher Information zwischen Rechtssprachen ist ein konzeptionelles Verständnis beider Rechtssysteme folglich unerlässlich.
Durch das Wiener Modell erwerben (angehende) Jurist* innen daher eben diese Grundfertigkeit der präzisen Artikulation in der Anglo-Amerikanischen Rechtssprache gepaart mit einem profunden Verständnis des Anglo-Amerikanischen Rechtssystems. Der Erfolg der Lehr- und Lernmethode liegt in ihrer systematischen Auseinandersetzung mit dem US-amerikanischen, englischen, deutschen und österreichischen Rechtssystem, gegliedert in 19 wichtige Bereiche des Öffentlichen Rechts und Privatrechts. Im Laufe der Kurse werden diese Themen in den verschiedenen Rechtssystemen nacheinander behandelt und die Aneignung der sprachlichen Fähigkeiten des Lesens, Schreibens, Hörverständnisses und Sprechens forciert.
In Lehrveranstaltungen an österreichischen Universitäten, im Rahmen der anwaltlichen Aus- und Weiterbildung durch die Anwaltsakademie (AWAK) oder auch durch das Vienna LLP Fast Track Programm behandelt das Wiener Modell juristische Kernthemen rechtsvergleichend. Derzeit bietet das Juridicum sogar sieben Lehrveranstaltungen im Rahmen von Wahlfachkörben und freien Wahlfächern an. Die Karl-Franzens-Universität Graz geht zusätzlich noch einen Schritt weiter und macht ab diesem Wintersemester die Ausbildung in der Anglo-Amerikanischen Rechtssprache zum fixen Bestandteil ihres law:excell Programms für besonders engagierte und interessierte Studierende.
An den Universitäten sind die aufeinander abgestimmten Lehrveranstaltungen dabei so konzipiert, dass die Lernenden selbst kontinuierlich stärker in den Ablauf involviert werden und sich der Charakter der Kurse somit von einer primär vortragsorientierten Einführungsvorlesung hin zu intensiven Arbeitsseminaren verändert, bei denen die Studierenden selbst die aktive Rolle der Lehrenden übernehmen.
Grundlage für alle Kurse und maßgeblich für die effektive Wissensvermittlung ist die begleitende Literatur, die 2020 komplett überarbeitet neu erschienen ist. “The Practitioners’ Guide to Applied Comparative Law and Language“ ist in zwei Bänden erschienen. Band 1 befasst sich mit “Civil Law & Business Law“ und beinhaltet Kapitel zum Vertragsrecht (Contract Law), Gesellschaftsrecht (Company/Corporate Law), Handels- bzw Unternehmensrecht (Commercial Law), deliktisches Schaden(s)ersatzrecht (Tort Law), Liegenschaftsrecht (Real Estate Law), Arbeitsrecht (Labo[u]r Law), Familienrecht (Family Law), Erbrecht (Inheritance Law), Zivilprozessrecht (Civil Procedure Law) und Schiedsgerichtsbarkeit (Arbitration). Band 2 behandelt „Public Law & Related Fields of Law“ mit den Themen Verfassungsrecht (Constitutional Law), Verwaltungsrecht (Administrative Law), Strafrecht (Criminal Law), Strafprozessrecht (Criminal Procedure Law), Kartellrecht (Antitrust/Cartel Law), Immaterialgüterrecht (Intellectual Property Law), Steuerrecht (Tax Law), Insolvenzrecht (Insolvency Law) und Versicherungsrecht (Insurance Law). Für jedes Thema gibt ein eigener Beitrag, verfasst von lokalen Expert*innen, zum US-amerikanischen, dem englischen, dem deutschen und dem österreichischen Rechtssystem einen fundierten Überblick über das jeweilige Fachgebiet in englischer bzw US-amerikanischer Fachsprache. Den jeweiligen Einführungen folgen gebietsspezifische Glossare und Mustertexte für die praktische Arbeit. Die Bücher sind aber nicht nur ein exzellenter Lernbehelf, sondern stellen vor allem auch umfangreiche Nachschlage- und Anleitungswerke für die tägliche Praxis dar. Einzigartig für den deutschsprachigen Markt ist dabei, dass die Bücher sowohl in Deutschland als auch in Österreich erscheinen, weil sie juristisches Fachwissen und die juristische Fachsprache beider Länder beinhalten. Dadurch wird auch der Rechtsvergleich zwischen Österreich und Deutschland vermittels der anglo-amerikanischen Rechtssprache ermöglicht, und der Blick auf die Differenzierung zwischen den beiden deutschen juristischen Fachsprachen (man denke nur an SchadenSersatz) geschärft.
Das Wiener Modell bietet seinen Absolvent*innen aber nicht „nur“ eine umfangreiche Ausbildung, sondern vor allem auch einen anerkannten Nachweis ihrer neu erworbenen Kenntnisse. Nach Abschluss der jeweiligen Kurse besteht die Möglichkeit, sich die Beherrschung der juristischen Sprache und das tiefgreifende erworbene Sachverständnis der verschiedenen Rechtsbereiche des Fächerkanons durch die Absolvierung des Vienna Legal Language Proficiency Exams (Vienna LLP) offiziell in Form des Vienna LLP Certificate bestätigen zu lassen. Diese umfassende schriftliche und mündliche Prüfung bietet vor allem Berufsanfänger*innen einen anerkannten Nachweis der Kompetenz in der anglo-amerikanischen Rechtssprache im deutschsprachigen Raum, mit dem sie sich vom Rest der Masse an Bewerber*innen abheben sowie bei Beförderungen punkten können.
Absolvent*innen der Kurse des Wiener Modells haben zudem den Vorteil, dass sie sich die absolvierten Themenbereich für die schriftliche Prüfung anrechnen lassen können und somit im Idealfall nur zum mündlichen Prüfungsteil antreten müssen. In diesem Prüfungsgespräch demonstrieren sie nicht nur ihr Fachwissen, sondern vor allem die korrekte Beherrschung der Anglo-Amerikanischen Rechtssprache.