Workstory
„Diversität ist ein Asset!“
Vieles hat sich zum Besseren gewendet für Menschen mit Behinderungen, insbesondere, seit es das Gleichstellungsgesetz gibt. Doch es ist noch immer viel zu tun. Das meint jener Mann, der es am besten wissen muss: Österreichs Behindertenanwalt Hansjörg Hofer.
Hansjörg Hofer gehört selbst jener Bevölkerungsgruppe an, deren Anliegen er vertritt. Der Bundes-Behindertenanwalt kam mit Zerebralparese zur Welt, die sich bei ihm vor allem in einer Mobilitätseinschränkung äußert. „Vergessen S‘ den“, meinte der Arzt damals zur Mutter. Die vergaß ihren Sohn freilich nicht, sondern ermöglichte ihm eine rechtswissenschaftliche Ausbildung.
Danach suchte der Jurist vergeblich nach einer Kanzlei, um seine Praxiszeit zu absolvieren. So wurde es schließlich der öffentliche Dienst: 1985 begann Hofer seine Tätigkeit für das Sozialministerium. 2017 wurde er Anwalt für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen („Behindertenanwalt“).
Zwar werden einem behinderten Menschen auch heute, Jahrzehnte später, noch Steine in den Berufsweg gelegt, die Ausgangssituation ist jedoch eine andere: „Wer aufgrund seiner Behinderung abgelehnt wird, kann dagegen rechtlich vorgehen. Damit ist auch das Bewusstsein ein anderes geworden.“
Gute Bilanz bei Schlichtungsverfahren
Mediation und Schlichtungsverfahren gehören ebenso wie Rechtsberatung und Interessenvertretung zu den Aufgaben der Behindertenanwaltschaft. Ziel des kostenlosen Schlichtungsverfahrens ist es, innerhalb von drei Monaten – bzw. innerhalb eines Monats bei Kündigungen oder Entlassungen – zu einer gütlichen Einigung zu gelangen.
Hofer: „Bei knapp hundert jährlichen Schlichtungsverfahren kommen wir auf eine Einigungsquote von 50 Prozent. Das ist ein ausgezeichneter Wert, wenn man bedenkt, dass es sich um ein freiwilliges Verfahren handelt.“ Daneben betreute die Anwaltschaft zuletzt rund 1.300 Beratungsfälle im Jahr. Dazu ist Hofer auch viel in den Bundesländern, wo er halbjährlich Sprechtage abhält.
Rechtsanspruch auf Persönliche Assistenz
Angesichts unterschiedlicher Regelungen in den einzelnen Bundesländern fordert Hofer einen bundesweiten Rechtsanspruch auf Persönliche Assistenz. Das ist auch ein Punkt im aktuellen Empfehlungskatalog, der sich an die Gesetzgebung richtet. Hier finden sich weiters die Schaffung eines Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs (zusätzlich zum Schadenersatzanspruch) im BGStG sowie die berufsrechtliche Ermöglichung der Beschäftigung von blinden Richtern im Bereich der ordentlichen Gerichte.
Überhaupt sollte die personelle Zusammensetzung in Rechtsetzung und Rechtsprechung stärker das Gesamtbild der Gesellschaft spiegeln. Selbst in der Gesetzgebung sei man von diesem Idealzustand weit entfernt: „Rund 15 Prozent der Menschen weisen eine erkennbare Behinderung auf. Bei 183 Nationalratsabgeordneten wären das 27 Parlamentarier.“
Diversität lohnt sich
Vorbehalte gegenüber behinderten Arbeitnehmern bestünden immer noch in vielen Unternehmen. Die Folge: Die Arbeitslosigkeit ist rund doppelt so hoch wie im österreichischen Durchschnitt. Menschen mit Behinderungen sind länger und öfter auf Arbeitssuche. Hofer wünscht sich eine vorurteilsfreie Herangehensweise: „Geeignete Arbeitsplätze gibt es überall. Ein Rollstuhlfahrer wird vielleicht kein Seiltänzer, aber er kann einen Bürojob genauso gut wie jeder andere erledigen.“
Hilfreich wären Rahmenbedingungen, die belohnen, anstatt zu bestrafen: also ein Prämien- und Anreizsystem anstelle – ohnedies viel zu niedrig angesetzter – Taxen. Letztlich belohnt sich selbst, wer auf mehr Inklusion setzt: „Diversität ist ein Asset“, ist Hofer überzeugt. „Nur wer Menschen mit Behinderungen in sein Unternehmen integriert, wird diese auch als Kunden ansprechen können.“ Allein in Österreich sind das rund 1,4 Millionen Menschen.
„Während des Corona-Lockdowns wurde auf Menschen mit Behinderungen vergessen“, kritisiert Hansjörg Hofer im vollständigen Porträt in der RECHTaktuell, Ausgabe 11-12/2020.