DAS FAMILIENRECHT IN DER CORONAKRISE
Corona ist wie ein Brennglas

Wie ging es Ihnen in Ihrer Tätigkeit als Richterin in der Coronakrise?
Wegen der Pandemie herrschte in vielen Familien Unsicherheit, wie es finanziell weitergeht. Das macht es schwierig, langfristige Verpflichtungen einzugehen, wie es Unterhaltsleistungen nun einmal sind. In der Zeit zwischen März und Anfang Mai 2020 gab es daher kaum neue Scheidungsverfahren.
Ich weiß jedoch von Scheidungsanwälten, dass sich viele Menschen über die rechtlichen Rahmenbedingungen erkundigen. Die Lawine rollt also erst an – meiner Einschätzung nach bis zum Sommer.
Im Lockdown: Gewalt in der Familie
Sind die Fälle von Gewalt in der Familie deutlicher nach oben gegangen?
Damit hätte ich eigentlich gerechnet, eingetreten ist es jedoch nicht. Allerdings sagen mir meine Kontaktpersonen bei Frauenhäusern und Interventionsstellen, dass es für Frauen derzeit noch schwieriger als sonst ist, auszuziehen oder zur Polizei zu gehen. Normalerweise machen sie das dann, wenn der Mann außer Haus ist. Die Frage ist natürlich, was sich hinter verschlossenen Türen abspielt.
Sicher gibt es aber auch Familienkonstellationen, in denen die Partner während der Lockdowns stärker zusammengewachsen sind und einander unterstützt haben, um die Herausforderungen von Home-Schooling und Co zu bewältigen.
Kontaktrechte und Covid-19
Wie stark spielt Corona ins Familienrecht hinein?
Ganz stark. Leider wird manches ausgenutzt. Wer Corona-Symptome vorschützt, kann damit unter Umständen ein Verfahren verzögern. Auch gibt es Fälle, in denen das Besuchsrecht aufgrund des Kontakts mit Infizierten nicht gewährt werden konnte.
Wer K1-Kontaktperson war, hatte dafür jedoch womöglich keinen rechtsgültigen Beweis in Form eines Bescheids, sondern lediglich eine WhatsApp-Nachricht der Schule. Streitigkeiten zwischen den Eltern waren vorprogrammiert.
Gehen die Wogen allgemein höher in der Krise?
Die Menschen müssen Situationen bewältigen, mit denen sie in ihrem bisherigen Leben noch nicht konfrontiert waren. Dadurch steigt der emotionale Pegel. Gerade im ersten Lockdown habe ich aber auch einen gegenteiligen Effekt bemerkt, nämlich dass die Leute angesichts der allgemeinen Bedrohung zusammenrücken. Ein großer Teil der an sich wenigen Scheidungen erfolgte einvernehmlich.
Das ist ein Unterschied zu den weiteren Lockdowns. Da ging es tendenziell um die Frage, was erlaubt und was verboten ist. Das führt dann wiederum zu zwischenmenschlichen Problemen bei der Ausübung der Kontaktrechte, wenn der eine Partner alle rechtlichen Möglichkeiten der Covid-19-Beschränkungen nutzt, während der andere auf Sicherheit und Gesundheit bedacht ist.
Reformbedarf bei Kindesunterhalt und Verschuldensprinzip
Sie engagieren sich seit 1998 im Vorstand der Richtervereinigung und leiteten dort von 2008 bis zum Vorjahr die Fachgruppe Außerstreit- und Familienrecht. Welche Baustellen sehen Sie im Familienrecht?
Der Kindesunterhalt soll reformiert werden. Das scheint mir auch notwendig, weil die Berechnung sehr kompliziert geworden ist. Will man den Unterhalt exakt ausrechnen, gelangt man in Bereiche höherer Mathematik. Auch da wird es aber Gewinner und Verlierer geben. Das wird noch spannend, da sich die Frage stellt, was sozial verträglich ist.
Wer mehrere Kinder hat, zahlt heute womöglich so hohe Alimente, dass er sich kaum mehr die Wohnung leisten kann. Das ist auch ein Grund, warum so häufig um die Kontaktzeiten gestritten wird.
Gibt es Reformbedarf beim Verschuldensprinzip in der heutigen Form?
Eine Abschaffung fordern wir seitens der Richtervereinigung schon lange. Problematisch ist, dass solche Prozesse wirklich unangenehm sind und intimste Dinge ans Licht bringen, die außer die Partner niemanden etwas angehen. Aber da hängt auch der nacheheliche Unterhalt bis hin zu einer allfälligen Witwen- oder Witwerpension dran. Dadurch braucht es eine Reform mit langen Übergangsfristen.
Länder, die das Verschuldensprinzip abgeschafft haben, haben dieses durch eine Prüfung ersetzt, ob die Ehe leichtfertig verlassen wurde. Durch die Hintertür kommt also die Schuldfrage wieder herein. Es sei denn, man hat ein Sozialsystem, das dies alles auffängt.
Was fasziniert am Familienrecht? Und warum benötigen Richter oder Richterinnen in diesem Bereich eine dicke Haut? Mehr darüber im vollständigen Interview in RECHTaktuell 1/2021.