Home RECHTaktuell Gastkommentare Cyber-Justitia – virtuelle Aussage Gericht

VOR-ORT-ÜBERPRÜFUNG

Cyber-Justitia – Die virtuelle Aussage vor Gericht

Artikel teilen
Alix Frank-Thomasser
© Doris Kucera
Dr. Alix Frank-Thomasser
Wiener Rechtsanwältin und Mitinitiatorin der The Women In Law Initiative
Cyber Justitia
© MANZ
#futurethursday
In unserer Social Media-Reihe #FutureThursday erkundet Justitia, Göttin der Gerechtigkeit, in einer Zeitreise in die Zukunft, wie sich der Umgang mit Recht aufgrund der neuen Technologien verändern könnte.
Redaktion
Dr. Alix Frank-Thomasser
Datum
02. Oktober 2024

Seit nun fast 20 Jahren können Gerichte aus Gründen der Verfahrensökonomie entscheiden, dass Zeug:innen und Beschuldigte im strafgerichtlichen Vorverfahren, Zeug:innen in der Hauptverhandlung und Zeug:innen, Parteien, Dolmetscher:innen sowie Sachverständige im Zivilverfahren mittels einer Videoaufnahme einvernommen werden können (§ 277 ZPO). Allerdings erfolgt diese digitale Einvernahme immer unter Aufsicht einer Richter:in und sozusagen von Gerichtsgebäude zu Gerichtsgebäude in einem eigenen Justiz-Zoom Kreis. Es wird also im Prozessgericht eine Verhandlung abgehalten, bei der die Richter:in und in der Regel die Parteien und deren Rechtsvertreter:innen anwesend sind, während im „Einvernahmegericht“ die Zeug:in vielleicht auch deren Dolmetscher:in vor der Videokamera unter Aufsicht einer Richter:in von den im Prozessgericht anwesenden Personen befragt wird. Diese Form der Einvernahme hat sich gerade im Vergleich zur Einvernahme im Rechtshilfeweg vor einem Rechtshilfegericht als sehr praktikabel erwiesen, da weder die einvernommenen Personen, noch Parteien oder deren Vertreter:innen sich beim Rechtshilfegericht einzufinden hatten, um sicherzustellen, dass die Einvernahme alle von ihnen gewünschten Themen umfasste. Auch der oberste Gerichtshof hat mehrfach bestätigt, dass diese Form der Einvernahme den Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht verletzt.1 

Mit der Zivilverfahrensnovelle 2023 rückte im Gefolge der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des Justizwesens während der Covid-19-Pandemie die virtuelle Verhandlung ins Rampenlicht. Wir sprechen also nicht mehr von der bloßen von Gerichtsgebäude zu Gerichtsgebäude stattfindenden ZOOM Verhandlung, sondern von einer Video-Tagsatzung (§ 132 a ZPO), bei der Parteien oder deren informierte Vertreter:innen von Richter:innen, die diese Verhandlung nicht von einem Gerichtsgebäude aus leiten müssen, einvernommen werden können, allerdings nur im Rahmen der vorbereitenden Tagsatzung (§ 258 Abs. 1 Ziffer 5 ZPO). Das ist also die erste Tagsatzung im Zivilverfahren. Damit wurde auch die Möglichkeit geschaffen, sich möglichst wenig aufwändig vielleicht doch noch im Zuge dieser ersten Verhandlung unter Mitwirkung des Gerichtes zu vergleichen. Andererseits schaffte der Gesetzgeber mit dieser Regelung einen behutsamen Mittelweg auf dem Weg in das digitale Verfahren. Es ist bekanntlich nicht möglich, sich bei Videokonferenzen in die Augen zu sehen, da jeder Teilnehmer einer Videokonferenz in die Kamera sieht, oder auch nicht einmal das. Weithin bekannt ist die Ermüdung und damit einhergehende stets abnehmende Konzentration in länger dauernden Videokonferenzen. Das mittlerweile anerkannte Syndrom namens „Zoom Fatigue“ ist daher nicht zu unterschätzen, von anderen Erkenntnissen über Unzulänglichkeiten von Videokonferenzen im Einsatz der Gerichte ganz abgesehen. Die Diskussion um die digitale Beweisaufnahme wird natürlich auch von der mangelnden Qualität der Einvernahme beherrscht, da sie nicht im kontrollierten Justizsetting des § 277 ZPO stattfindet. Jede digitale Verhandlung benötigt eine eigene Videokonferenz-Umgebung, in die sich dann die teilnehmenden Personen jeweils mit ihrem eigenen Equipment und ihrer eigenen Internetverbindung einwählen (§ 85 b GOG). Technische Störungen lassen sich dabei natürlich nicht ausschließen, auch wenn dem Gericht eine Erstreckungsmöglichkeit der Tagsatzung in diesem Fall zukommt (§ 134 Z 1 ZPO). Allerdings spielen auch gerade psychologische Aspekte eine ganz wesentliche Rolle beim Einsatz von Videoeinvernahmen im Rahmen einer virtuellen Verhandlung. Wer kann feststellen, oder wie kann festgestellt werden, ob der/die Vernommene nicht besonders gut vorbereitet wird während seiner virtuellen Einvernahme? Es können weder Beeinflussungen von Seiten Personen ausgeschlossen werden, die sich im selben Raum mit der vernommenen Person befinden, noch kann ausgeschlossen werden, ob die Aussage nicht von einem Teleprompter einfach sehr geschickt und gut vorbereitet und trainiert abgelesen wird. Eine Ausrichtung der Kamera bzw. Positionierung der zu vernehmenden Person vor der Kamera kann Auswirkungen auf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Aussage durch das Gericht haben. So kann eine übergroße Darstellung der einvernommenen Person am Bildschirm einen ganz anderen Eindruck bewirken, als eine vielleicht sehr bescheidene Positionierung. Auch die Befürchtung, dass Lügen leichter über Lippen kommen, wenn die vernommene Person vor der Kamera sitzt und nicht im Gerichtssaal, ist nicht von der Hand zu weisen. Längst wird gerade auch im Rahmen von internationalen Schiedsverfahren der Einsatz von spezieller KI diskutiert, die über Gesichtsanalyse besser als jeder Mensch erkennen kann, ob der/die Vernommene lügt. Dagegen stehen allerdings Beobachtungen, dass einvernommene Personen oft von anwesenden Parteien oder auch deren Vertretern verbal, durch entsprechende Stimmlage oder Gestik massiv emotional unter Druck gesetzt werden. Es ist gerade nicht gesagt, dass Personen, die unter einem solchen emotionalen Druck stehen, eine sachlichere, den Tatsachen näherkommende Aussage machen, als solche Personen, die einem derartigen Druck, weil vor der Videokamera, gerade nicht ausgesetzt sind.

Nicht von ungefähr hat sich daher der Gesetzgeber in der Zivilverfahrensnovelle 2023 dazu entschieden, den beschriebenen Mittelweg zu wählen und den Parteien die Möglichkeit des Widerspruches gegen die angekündigte Vorgangsweise der Abhaltung einer virtuellen Verhandlung im Rahmen der ersten Tagsatzung zu geben.

In „Zoom-ing Around the Rules: Courts’ Treatment of Remote Trial Testimony in a Virtual World“ von Mary Margaret Chalk, J.D. Candidate, Stanford Law School, 20242 ,27 STAN. TECH. L. REV. 180 (2024), appelliert diese auf der Basis der Rechtslage in Nordamerika zu virtuellen Einvernahmen in virtuellen Gerichtsverhandlungen, solche keinesfalls nur der Bequemlichkeit wegen breit umzusetzen und wenn, nur unter den Unmittelbarkeitsgrundsatz schützenden Bedingungen.3

Bleibt abzuwarten, wie die österreichische Justiz die Videokonferenz-Technologie in Verhandlungen nach der Zivilverfahrensnovelle 2023 noch weiter ausweiten möchte.

[1] RIS-Justiz RS0046333 [T44]

[2] https://law.stanford.edu/wp-content/uploads/2024/02/Publish_27-STLR-180-2024_Zoom-ing-Around-the-Rules.pdf

[3] Kodek, der Zivilprozess und neue Formen der Informationstechnik, ZZP 111 (2002) 445 (482).

Die seit Jahren vom Verlag MANZ als Platinsponsor unterstützte The WomenInLaw Initiative beschäftigte sich in ihrer 5. Internationalen Jahreskonferenz im September 2024 mit dem Thema Access to Justice, das untrennbar auch mit den Fragen zur virtuellen Einvernahme im Rahmen der virtuellen Gerichtsverhandlung verbunden ist.
 

Im Rahmen unserer #FutureThursday Postings wagen wir einen Blick in die Zukunft des Rechts. In Anlehnung an die bekannten „Throwback Thursday Postings“ möchten wir nicht in der Vergangenheit schwelgen, sondern mit unserem innovativen Pioniergeist in die Zukunft blicken. Wie wird MANZ bzw. die juristische Welt in 20, 30, 40, 100 Jahren aussehen? Dabei unterstützt uns Justitia, die als digitale „Influencerin“ für uns in die Zukunft reist und juristische Trends und Technologien aufspürt und erklärt. Alle Postings zu unserer #FutureThursday-Reihe finden Sie auf unseren Social Media-Kanälen: LinkedIn, Instagram, Facebook.

Querverweise in die RDB wurden automatisch mit dem MANZ Linkbutler des MANZ Genjus Word Add-In erstellt.