EU-SANKTIONEN GEGEN RUSSLAND
Russland-Sanktionen: Auswirkungen auf das Vergaberecht
Seit Anfang April 2022 ist eine umfangreiche Sanktionen-Verordnung der EU gegen Russland in Kraft. Mehr über die Auswirkungen auf Vergabeverfahren und Verträge erläutert ein Beitrag von Fachautor Michael Fruhmann.

Im Kontext der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch die Russische Föderation wurden durch die Verordnung (EU) Nr 833/2014 Sanktionen seitens der EU gegenüber Russland verhängt. 2022 wurde die – zwischenzeitlich mehrfach novellierte – Verordnung aufgrund des ebenfalls völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands auf die Ukraine erneut geändert. Mit VO (EU) 2022/576 wurde in die VO (EU) 833/2014 ein neuer Art 5k eingefügt, der seinerseits schon wieder durch die VO (EU) 2022/879 und VO (EU) 2022/1269 geändert wurde. Im Folgenden sollen die Verbote des Art 5 k SanktionenVO und deren Auswirkungen analysiert sowie allfällige Probleme und Unklarheiten aufgezeigt werden.
Überblick:
1. SanktionenVO: Verpflichtete Auftraggeber und örtlicher Anwendungsbereich
2. Die vom Sanktionsregime erfassten Aufträge und Konzessionen
3. Die von den Russland-Sanktionen Betroffenen
a) Wohnsitz oder Niederlassung in Russland
b) mehrheitliches „russisches“ Eigentum
c) Handeln „im Namen oder auf Anweisung“
d) Beteiligung als Subunternehmer oder Lieferant
e) Der anzuwendende Sorgfaltsmaßstab
4) Die Verbote der SanktionenVO
1. SanktionenVO: Verpflichtete Auftraggeber und örtlicher Anwendungsbereich
Obwohl Art 5k Abs 1 neutral formuliert ist („Es ist verboten …“), besteht kein Zweifel daran, dass durch die SanktionenVO alle öffentlichen Auftraggeber und Sektorenauftraggeber gemäß den VergabeRL 2014/23/EU, 2014/24/EU, 2014/25/EU und 2009/81/EG zur Einhaltung der in Art 5k normierten Sanktionen verpflichtet werden. Alle im Gebiet der Union abgewickelten Vergabeverfahren unterliegen dem Sanktionsregime.
2. Die vom Sanktionsregime erfassten Aufträge und Konzessionen
Das Sanktionsregime umfasst alle den VergabeRL unterliegenden Auftrags- und Konzessionsvergaben. Durch das Anknüpfen an den „Anwendungsbereich“ der jeweiligen VergabeRL ist klargestellt, dass Auftrags- und Konzessionsvergaben im Unterschwellenbereich nicht in das Sanktionsregime des Art 5 k einbezogen sind.
Des weiteren sind – offenkundig unsystematisch festgelegt – auch zahlreiche von den VergabeRL ausgenommene Vergaben vom Sanktionsregime erfasst – von Konzessionsvergaben im Bereich der Luftverkehrsdienste bis hin zu Auftragsvergaben für die Zwecke nachrichtendienstlicher Tätigkeiten. Nicht unter das Sanktionsregime fallen jedoch Beschaffungsverfahren und Verträge betreffend Energie und Brennstoffe für die Energieerzeugung (insbesondere Gas, Erdöl, Kohle), die von bestimmten Sektorenauftraggebern durchgeführt bzw. weiter erfüllt werden.
3. Die von den Russland-Sanktionen Betroffenen
a) Wohnsitz oder Niederlassung in Russland
Von den Sanktionen erfasst werden gemäß Art 5k Abs 1 lit a alle russischen Staatsangehörigen, in Russland ansässige natürliche Personen oder in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen. Hinsichtlich der erfassten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen wird allein daran angeknüpft, ob diese im Gebiet Russlands niedergelassen sind.
b) mehrheitliches „russisches“ Eigentum
Nach Art 5k Abs 1 lit b unterliegen den Sanktionen ferner alle juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die unmittelbar oder mittelbar mehrheitlich (das heißt zu über 50 Prozent) im Eigentum von einer der unter lit a genannten „russischen“ Personen, Organisationen oder Einrichtungen stehen.
Haben im „russischen“ Eigentum stehende Entitäten ihren Sitz in einem Drittland (ausgenommen Russland), unterliegen sie nur dann den Sanktionen, wenn sie gem Art 13 lit e SanktionenVO ihre Geschäfte zumindest teilweise im Gebiet der Union tätigen (im vorliegenden Kontext: an einem Vergabeverfahren teilnehmen oder Verträge aufgrund eines öffentlichen Beschaffungsverfahrens durchführen). Da sowohl unmittelbares wie auch mittelbares „Eigentum“ relevant ist, haben öffentliche Auftraggeber bei der Beurteilung umfassend die gesamte Eigentümerstruktur der Teilnehmer am Vergabeverfahren bzw. ihrer Auftragnehmer zu durchleuchten und den bzw. die tatsächlichen „wirtschaftlichen Eigentümer“ zu eruieren; einschlägige sanktionsrelevante Besitzverhältnisse sind zu kumulieren.
c) Handeln „im Namen oder auf Anweisung“
Art 5k Abs 1 lit c bildet einen die lit a und b ergänzenden Auffangtatbestand, um Umgehungen des Sanktionsregimes zu unterbinden: Die einschlägigen Verbote der SanktionenVO gelten auch für natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die im Namen oder auf Anweisung einer unter Art 5k Abs 1 lit a oder b genannten Entität handeln.
d) Beteiligung als Subunternehmer oder Lieferant
Nach Art 5k Abs 1 Schlussteil ist die Vergabe eines Auftrags oder einer Konzession an einen Bieter bzw. die Durchführung eines Auftrags oder einer Konzession mit einem Auftragnehmer bzw. einem Konzessionär verboten, wenn dieser Entitäten gemäß lit a bis c als (notwendige oder nicht-notwendige) Subunternehmer oder Lieferanten nennt oder einsetzen will bzw. einsetzt und der wertmäßige Anteil dieser Subunternehmer bzw. Lieferanten 10% des (geschätzten oder vereinbarten) Auftragswerts übersteigt.
e) Der anzuwendende Sorgfaltsmaßstab
Die Feststellung, ob Teilnehmer an Vergabeverfahren bzw. Auftragnehmer und deren Subunternehmer, Lieferanten bzw. sonstige Unternehmen von der SanktionenVO erfasst sind oder nicht, wirft in der Praxis erhebliche Problem auf. Letztlich braucht es eine Einzelfallbetrachtung, das einzuhaltende Sorgfaltsniveau ist stets individuell und unter Beachtung aller konkreten Umstände zu beurteilen.
Hinzuweisen ist auch darauf, dass den (öffentlichen) Auftraggeber, Auftragnehmer oder Konzessionär keine permanente Prüfpflicht trifft, ob sanktionsrelevante Tatbestände erfüllt sind. Hat daher der (öffentliche) Auftraggeber im Vergabeverfahren verifiziert, dass der präsumtive Zuschlagsempfänger nicht dem Kreis der sanktionsbelasteten Entitäten gemäß Art 5k Abs 1 angehört, dann ist dieser ohne zusätzliche konkrete Anhaltspunkte nicht verpflichtet, nach Vertragsschluss weiterhin von sich aus zu kontrollieren, ob der Vertragspartner gegebenenfalls in den Anwendungsbereich der SanktionenVO fällt (zum Beispiel aufgrund einer Änderung der Eigentümerstruktur).
4) Die Verbote der SanktionenVO
a) Allgemeines
Art 5k Abs 1 SanktionenVO verbietet die Vergabe von (öffentlichen) Aufträgen und Konzessionen an bestimmte Bieter bzw. die „weitere“ Erfüllung von bereits abgeschlossenen Verträgen mit bestimmten Auftragnehmern oder Konzessionären. Erfasst werden somit alle Typen von Aufträgen im „klassischen“ und im Sektorenbereich sowie alle Typen von Konzessionen. Ebenfalls erfasst wird der Abschluss von Rahmenvereinbarungen, da diese nach der Judikatur des EuGH als „Aufträge“ zu qualifizieren sind.
Im Gegensatz dazu ist die Einrichtung eines Dynamischen Beschaffungssystems (DBS) keine „Auftragsvergabe“. Von der SanktionenVO Betroffene dürfen daher sehr wohl als Teilnehmer zu einem DBS zugelassen bzw. beibehalten, in weiterer Folge aber bei der Vergabe nicht weiter berücksichtigt werden. Analoges gilt für die Einrichtung eines Prüfsystems im Sektorenbereich.
b) Verbot der Vergabe von Aufträgen bzw. von Konzessionen
Die SanktionenVO statuiert lapidar, dass ab dem 9.4.2022 die Vergabe von Aufträgen oder Konzessionen an bestimmte Unternehmer „verboten“ ist. Als „Vergabe“ im Sinne der SanktionenVO gelten undifferenziert alle Vertragsabschlüsse, somit nicht nur der Abschluss völlig neuer Verträge, sondern auch die Änderung bestehender Verträge, die automatische Verlängerung von Verträgen sowie das Ziehen einer Option.
Die Verordnung schweigt zur Frage, wie dieses Verbot im konkreten Vergabeverfahren verfahrenstechnisch effektuiert werden soll. Eine Möglichkeit bestünde etwa darin, gestützt auf das unmittelbar anwendbare Verbot des Art 5k Abs 1 SanktionenVO den betreffenden Bieter vom Vergabeverfahren auszuschließen oder sein Angebot auszuscheiden.
Wird dennoch gegen das unmittelbar anwendbare Verbot des Art 5k Abs 1 SanktionenVO verstoßen und einem vom Sanktionsregime Betroffenen der Zuschlag erteilt, so macht sich der (öffentliche) Auftraggeber strafbar und der Vertrag ist gem § 879 Abs 1 ABGB nichtig, da er gegen ein „gesetzliches Verbot“ verstößt. Dies führt insbesondere bei Verträgen, die in Unkenntnis der SanktionenVO abgeschlossen wurden, zu erheblicher Rechtsunsicherheit.
c) „Erfüllungsverbot“ für Altverträge
Gem Art 5k Abs 1 SanktionenVO ist es verboten, „Verträge mit [sanktionierten] Personen, Organisationen oder Einrichtungen weiterhin zu erfüllen“. Dies bedeutet grundsätzlich, dass Verträge, auf die die SanktionenVO anwendbar ist, nicht weiter abgewickelt, das heißt, die vertraglich vereinbarten Leistungen nicht weiter erbracht werden dürfen. Wird ein Vertrag entgegen dem Erfüllungsverbot der SanktionenVO weiterhin abgewickelt, so machen sich die (öffentlichen) Auftraggeber, Auftragnehmer und Konzessionäre strafbar.
Angesichts der Komplexität der Feststellung, ob Verträge vom Sanktionsregime erfasst werden oder nicht, räumt Art 5k Abs 4 SanktionenVO für Altverträge eine Übergangsfrist ein: Aufträge bzw. Konzessionen, die vor dem 9.4.2022 zugeschlagen wurden, können noch bis 10.10.2022 abgewickelt werden.
Da das Erfüllungsverbot des Art 5k Abs 1 nicht zu einer Ex-lege-Beendigung der betroffenen Altverträge führt, müssen die (öffentlichen) Auftraggeber entsprechende Maßnahmen treffen, um dem Erfüllungsverbot nachzukommen. Relevant ist dies hinsichtlich jener Verträge (Ziel- und Dauerschuldverhältnisse), die nicht vor dem 10.10.2022 vollständig abgewickelt werden können bzw. bei denen absehbar ist, dass dies nicht der Fall sein wird. Bei Dauerschuldverhältnissen kommen somit sowohl eine Suspendierung wie auch eine Kündigung der von der SanktionenVO betroffenen Verträge in Betracht. Bei Zielschuldverhältnissen hat ein Rücktritt vom Vertrag zu erfolgen.
Stark gekürzter Auszug und bearbeiteter Auszug des Fachbeitrags „Die Russland-Sanktionen der EU im Vergabebereich – Teil 1“ von Michael Fruhmann. Der vollständige Beitrag zeigt unter anderem Möglichkeiten auf, wie Verfahren bzw. Verträge gegebenenfalls vergaberechtskonform „gerettet“ werden können. Sie finden diesen in der Printausgabe 09/2022 der „Zeitschrift für Vergaberecht und Bauvertragsrecht“ (ZVB), wo auch der zweite Teil des Artikels erscheinen wird.
Querverweise zur Norm in der RDB wurden automatisch mit dem MANZ Linkbutler erstellt.