UNTERNEHMEN NACH DEM CORONA-LOCKDOWN
Keine Entschädigung für Covid-19-Beschränkungen?
Dem Spannungsfeld zwischen Gesundheitsschutz und Rechtsstaat widmete sich jüngst Christian Kopetzki. Auch ecolex-Autorin Kerstin Holzinger setzt sich im Gastkommentar mit der Verfassungsgerichtshof-Judikatur zu den Corona-Maßnahmen auseinander. Die Frage nach Entschädigungen für Unternehmen sieht sie nicht letztgültig geklärt.

Mit drei Erkenntnissen vom 14. Juli 2020 hat sich der Verfassungsgerichtshof erstmals zu einigen der sogenannten Covid-19-Maßnahmen geäußert. Die Erkenntnisse zur 400 m2-Regelung und zum „allgemeinen Ausgangsverbot mit Erlaubnistatbeständen“ liegen dabei noch im Bereich des Erwarteten. Das Erkenntnis zur Frage nach Entschädigungsansprüchen für Betretungsverbote gibt hingegen Anlass zur Verwunderung. Insbesondere überrascht die Begründung dieser Entscheidung.
Betretungsverbote für Kunden als „Betriebsschließungen“?
Ohne nähere Begründung geht der VfGH davon aus, dass es sich bei den verordneten Betretungsverboten für Kunden um „Betriebsschließungen“ handelt. Dies entspricht jedoch weder dem Wortlaut, noch dem Zweck der Maßnahmen-Verordnung, die eben nur ein Betretungsverbot für erwerbswillige Kunden vorsieht. Die Erläuterungen dazu hatten sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Inhaber der Betriebsstätte, seine Mitarbeiter und Personen, die in der Betriebsstätte Dienstleistungen erbringen, nicht vom Betretungsverbot betroffen sind. Auch tatsächlich haben viele Unternehmer ihre Betriebe etwa auf Versandhandel umgestellt. Dass die Betretungsverbote als Betriebsschließungen anzusehen wären, ist daher nicht ersichtlich.
Aus Sicht des Gerichtshofs war die Einordnung der Betretungsverbote als Betriebsschließungen aber unbedingt notwendig, um § 4 Abs 2 MaßnahmenG auf die verordneten Betretungsverbote anwenden zu können. Danach ist nämlich nur die Anwendung von Bestimmungen des Epidemiegesetzes über die Schließung von Betriebsstätten ausgeschlossen, nicht aber auch jene über Betriebsbeschränkungen. Folglich war die Einordnung der Betretungsverbote als Betriebsschließungen unerlässlich, um daraus den Ausschluss von Entschädigungsansprüchen für die Betretungsverbote ableiten zu können.
Nicht nachvollziehbar ist überdies die Annahme des Verfassungsgerichtshofes, der Gesetzgeber des Epidemiegesetzes hätte eine großflächige Schließung von Betriebsstätten nicht vor Augen gehabt. So wurden doch zu Beginn der Corona-Krise großflächig Betriebsschließungen und -beschränkungen unmittelbar auf Grundlage des Epidemiegesetzes angeordnet. Nicht zutreffend ist weiters die Unterstellung, § 20 EpG wäre deshalb zur Anwendung in der Corona-Krise nicht geeignet, weil er Betriebsschließungen und -beschränkungen nur hinsichtlich solcher Betriebsstätten ermögliche, „deren Betrieb eine besondere Gefahr für die Ausbreitung dieser Krankheit mit sich bringt“. Es liegt in der Natur der von den Betretungsverboten erfassten Handels- und Dienstleistungsbetriebe, dass dort eine Vielzahl einander unbekannter Menschen zusammenkommt. Dies sollte zur Einschränkung der Verbreitung von Covid-19 verhindert werden.
Entschädigungen für Unternehmen?
Vor diesem Hintergrund kann die Unanwendbarkeit des EpG auf die verordneten Betriebsbeschränkungen nicht plausibel begründet werden. Umgekehrt ist dem Gerichtshof aber dahingehend zuzustimmen, dass Entschädigungen für die verordneten Betretungsverbote verfassungsgesetzlich nicht geboten waren. Eine rechtstechnisch saubere Regelung über das Nichtbestehen von Entschädigungsansprüchen hätten durchaus richtigerweise für verfassungskonform befunden werden können. Das vorliegende Erkenntnis mag ergebnisorientiert sein. Das Ergebnis als solches erscheint jedoch vertretbar – gerade angesichts der Unterstützungsmaßnahmen, die die Covid-19-Regelungen für betroffene Betriebe vorsehen.
Ungeachtet dessen wirft das vorliegende Erkenntnis eine Vielzahl neuer Fragen auf: Wie sind beschränkende Regelungen zu beurteilen, die beim besten Willen nicht mehr als Betriebsschließungen eingeordnet werden können? Etwa Regelungen zur Beschränkung der Anzahl an Kunden, die sich gleichzeitig im Geschäft aufhalten dürfen, oder Abstandsregelungen in der Gastronomie? Wird man in solchen Fällen zum Ergebnis kommen müssen, dass ein Entschädigungsanspruch nach dem EpG zusteht? Wenn für solche Betriebsbeschränkungen aber Entschädigungen zustehen, wie kann dann deren Ausschluss für (vermeintliche) Betriebsschließungen sachlich sein? Und vielleicht die wichtigste Frage: Wird der Verwaltungsgerichtshof das VfGH-Ergebnis mittragen? Oder wird er zum Ergebnis kommen, dass die Betretungsverbote nichts anderes als Betriebsbeschränkungen sind, für die entsprechende Entschädigungen zustehen? Im Zuge der Aufarbeitung der Corona-Krise werden auch diese Fragen zu beantworten sein.
Gekürzte Version des Editorials der Haslinger / Nagele-Partnerin Kerstin Holzinger für die August-Ausgabe der MANZ-Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht „ecolex“. Im Printmagazin finden Sie den gesamten Text mit den entsprechenden Zitaten und Verweisen. Kerstin Holzinger ist auch Co-Autorin des kürzlich erschienenen „Handbuchs des Epidemierechts“.