Home RECHTaktuell Gastkommentare Covid-19 und die Verfassung

COVID-19 UND DIE VERFASSUNG

Corona, Punkt und Beistrich

Der Verfassungsgerichtshof stand in jüngster Vergangenheit im Brennpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Corona Judikatur und verwaltungs- bzw. verfassungsgerichtliche Aufarbeitung der Covid-19 Maßnahmen sind ein Zeichen, dass der Rechtsstaat funktioniert – meint Universitätsprofessor Christian Kopetzki in seinem Gastkommentar.

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Christian Kopetzki
Christian Kopetzki
Universitätsprofessor und Schriftleiter der Zeitschrift „RdM – Recht der Medizin“
Redaktion
Christian Kopetzki
Datum
25. August 2020

Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit haben einige Gesetze und Verordnungen zur Eindämmung der Covid-19 Pandemie von Anfang an begleitet. Nicht alle Einwände waren berechtigt, manche hätten aber zu denken geben müssen.

Die Regierung zeigte für „juristische Spitzfindigkeiten“ allerdings wenig Verständnis: Die Wirtschaftsministerin riet Unternehmen, „ihre Zeit nicht mit Anwälten zu verschwenden“. Der Bundeskanzler wiederum meinte, „am Ende des Tages“ werde der Verfassungsgerichtshof entscheiden, „ob alles auf Punkt und Beistrich in Ordnung ist“.
 

Lieber gesund als verfassungskonform?

Diese Kanzlerworte treffen schon irgendwie zu – zumindest, solange man die metaphorische Ebene nicht verlässt. Sie waren aber vielleicht anders gemeint. Fragt man nicht nach der semantischen Bedeutung, sondern nach der pragmatischen Verwendung dieses Satzes, dann konnte als Botschaft auch vernommen werden: Lieber gesund als verfassungskonform.

Gewiss sind juristische Mängel im Nachhinein meist leichter zu beheben als massenhafte Infektionen mit einem sich pandemisch ausbreitenden Virus. Dennoch bleibt ein Unbehagen. Denn ein Entweder-oder zwischen effizienter Seuchenbekämpfung und der Einhaltung rechtsstaatlicher Spielregeln besteht in dieser Zuspitzung nicht. Zum einen darf sich die staatliche Gefahrenabwehr auch bei massiven Bedrohungen nur in den von der Verfassung vorgezeichneten Bahnen bewegen, zumal die österreichische Bundesverfassung keinen davon dispensierenden „Ausnahmezustand“ kennt. Zum anderen schließen die demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätze ja nicht aus, dass individuelle Freiheiten im Rahmen der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte und auf Basis parlamentarisch beschlossener Gesetze mehr oder weniger stark eingeschränkt werden, wenn und sofern dies für den Schutz der Gesundheit notwendig und verhältnismäßig ist.
 

„Es besteht kein Anlass, Gesundheitsschutz und Rechtsstaat gegeneinander auszuspielen.“


Gesundheitsschutz und Rechtsstaat – beides geht

Im Großen und Ganzen hat die Politik der letzten Monate die heikle Balance recht gut bewältigt. Für jene Fälle, in denen das weniger gelungen ist, sieht die Verfassung einige Sicherheitsnetze vor, um gesetz- oder verfassungswidrige Rechtsakte zu beseitigen bzw. um deren Rechtswidrigkeit nachträglich festzustellen.

Es besteht also kein Anlass, Gesundheitsschutz und Rechtsstaat gegeneinander auszuspielen. Ein rechtlicher Fehler bleibt ein Fehler, auch wenn er durch die Neuartigkeit der Situation und den Zeitdruck bei der Rechtsetzung entschuldbar sein mag. Anders als bei der Amtshaftung geht es bei der gerichtlichen Verwaltungskontrolle nicht um Schuld und Sühne, sondern um die objektive Rechtmäßigkeit.
 

Der Verfassungsgerichtshof in Zeiten von Corona

Umgekehrt wird die sachliche Rechtfertigung der meisten gesundheitspolitischen Maßnahmen nicht dadurch in Frage gestellt, dass der eine oder andere Verwaltungsakt von den Verwaltungsgerichten als mangelhaft eingestuft wird oder eine generelle Norm vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wird. So gesehen sollte man die nun beginnende verwaltungs- und verfassungsgerichtliche Aufarbeitung der Covid-19 Maßnahmen weder als Fundamentalkritik an der entsprechenden Politik noch als Einladung zum kollektiven Corona-Übermut missverstehen. Sie ist vielmehr Zeichen eines funktionierenden Rechtsstaats.

Gekürzte Version des Editorials von Christian Kopetzki für die August-Ausgabe der Zeitschrift „RdM – Recht der Medizin“ – im Printmagazin finden Sie den gesamten Text.