„Familienunternehmen sind das Fundament der Wirtschaft“
Gerne erinnert sich Susanne Kalss noch heute an ihre Anfänge, als ihr aufgrund einer guten Seminararbeit eine Assistentenstelle an der Wirtschaftsuniversität Wien angeboten wurde. Das Manuskript ihrer Dissertation hatte sie beim Einstellungsgespräch mit Universitätsprofessor Peter Doralt dabei. Die Tinte des geborgten Druckers war während des Druckvorgangs zur Neige gegangen. „Weshalb Doralt mit mir weniger über die Dissertation oder die Assistentenstelle sprach als über die Erzählung ,Eine blassblaue Frauenhandschrift‘ von Franz Werfel.“
Unternehmensrecht als Glücksfall
Nachträglich betrachtet sieht die Institutsvorständin ihr Engagement an der WU als „echten Glücksfall“. Eine Fügung führte zur Beschäftigung mit Unternehmens- und Gesellschaftsrecht – Themen, die Kalss bis heute faszinieren und beschäftigen. Schon bald nach Antritt ihrer Assistentenstelle arbeitete Kalss an der Neuauflage der MANZ-Publikation „Grundriss des österreichischen Gesellschaftsrechts“ mit – zunächst auf einer Olivetti-Maschine, die nur jeweils sechs Seiten speichern konnte. „Wir haben überarbeitet und die neuen Passagen eingeklebt“, erzählt Kalss. „Bis heute kann ich den Klebstoff riechen.“
Das lebendige Universitätsgeschehen vermisste Kalss zuletzt in der Corona-Pandemie: „Ich sehe Universitäten als Orte der Begegnung. Am liebsten hätte ich mit der Schulöffnung die Lehre an der Uni wieder aufgenommen – natürlich in kleinen Gruppen, mit Covid-19-Tests und bei Einhaltung aller Sicherheitsmaßnahmen. Zu Lasten der Studierenden wurde das nun alles auf Herbst verschoben.“
Auch für die Lehrenden selbst bringt die virtuelle Universität keinen Zeitgewinn. „Im Grunde muss man alles neu machen“, so Kalss. „Ich versuche, die Online-Lehrveranstaltungen durch Diskussionen, Rollenspiele und Filme interaktiv zu gestalten.“ Dazu dreht sie etwa schon einmal gemeinsam mit ihren Töchtern einen kurzen Handy-Film zum Thema der Einlagenrückgewähr.
Die Bibel des Gesellschaftsrechts
Ein großes Projekt immerhin, das vor drei Jahren begonnen wurde, konnte während und zwischen all den Lockdowns zum Abschluss gebracht werden: Der Großkommentar „Verschmelzung Spaltung Umwandlung“ erscheint nach mehr als einem Jahrzehnt in einer Neuauflage. „Eine extrem wichtige Rechtsmaterie, bei der in der Vergangenheit manche Bruchlinien beseitigt werden konnten.“
Susanne Kalss scheint auf zahlreichen MANZ-Publikationen als Autorin oder Herausgeberin auf – gemeinsam mit Christian Nowotny und Martin Schauer im Fall der 2017 erschienen systematischen Darstellung zum „Österreichischen Gesellschaftsrecht“, ein Werk, das nicht zu Unrecht als „Bibel des Gesellschaftsrechts“ gilt. Bereits in Vorbereitung ist die Neuauflage des Handbuchs zu „Familienunternehmen“ (Kalss und Stephan Probst).
Gemeinsam mit MANZ sind auch bislang acht Tagungsbände zum „Wiener Unternehmensrechtstag“ entstanden. Nachdem die Veranstaltung des Jahres 2020 Corona-bedingt entfiel, soll die neunte Auflage am 17. Juni in der B&C-Privatstiftung am Wiener Universitätsring stattfinden (Ersatztermin: 7. Oktober). Brandaktuell ist das Thema: die Reform des Kapitalgesellschaftsrechts.
Reformbedarf im Kapitalgesellschaftsrecht
Besucher des diesjährigen Unternehmensrechtstages bekommen Informationen aus erster Hand: Susanne Kalss steht der entsprechenden Arbeitsgruppe im Justizministerium beratend zur Seite. Die Reform geht in die heiße Phase: Noch für diesen Sommer erwartet die Juristin einen Ministerialentwurf, für Herbst 2021 eine Regierungsvorlage.
„Eine Vereinfachung des GmbH-Rechts und des Aktienrechts für nicht börsennotierte Gesellschaften ist zweifellos erforderlich“, meint Kalss dazu. „Darüber besteht Einigkeit.“ Noch spießt es sich jedoch bei der Anteilsübertragung und den damit verbundenen digitalen Identifizierungsmöglichkeiten sowie bei Prüfpflichten des Firmenbuchgerichts. „Das Firmenbuch sollte aus meiner Sicht aufrechterhalten werden, aber hier wie auch in anderen Bereichen – etwa bei Aufsichtsratssitzungen – müsste verstärkt die Digitalisierung Einzug halten.“
Von Austrian Limited bis Familienunternehmen
Handlungsbedarf besteht laut Kalss auch im Aktienrecht, wo die bisherige Satzungsstrenge aufgelockert werden sollte. Dabei geht es um Zustimmungs- und Weisungsrechte im Vorstand, um die Option, einen Verwaltungsrat einzusetzen, um Kapitalbeschaffung, Anteilsübertragung sowie um Erleichterung und Rechtssicherheit bei der Einlagenrückgewähr.
Nicht ablehnend, aber kritisch steht die Juristin der „Austrian Limited“ gegenüber: „Mich stört, dass die Austrian Limited – in Wahrheit eine Art flexibler GmbH – die öffentliche Wahrnehmung dominiert. Das Fundament der heimischen Wirtschaft sind jedoch nicht die Start-ups, sondern das sind der Mittelstand und die zahlreichen Familienunternehmen in Österreich. Gerade in der Pandemie haben sie wieder gezeigt, wie resilient, kreativ und nachhaltig sie aufgestellt sind.“
Darüber, was von der virtuellen Lehre bleiben könnte, sowie über ihre aufregenden „Lehr- und Wanderjahre“ spricht Susanne Kalss in der Zeitschrift RECHTaktuell 03/2021. Ihre MANZ-Publikationen finden Sie unter
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