Thomas Jaeger
Jurist als Designer
Erste Eindrücke müssen nicht unbedingt immer richtig sein. An einem kalten Morgen im Januar ist das Sekretariat im fünften Stock des Wiener Juridicums noch nicht besetzt. Deshalb steht auch die Tür zu Thomas Jaegers Büro sperrangelweit offen. Extrem aufrecht sitzt er an seinem Schreibtisch, eine Tasse hellgelben Tees in Reichweite. „Jetzt habe ich den Termin vergessen, ich werde alt“, sagt er, und irgendwie steht das im Gegensatz zu seinem jugendlichen Aussehen: Jaeger würde locker noch als Student durchgehen. Das ist er aber nicht, ganz im Gegenteil: Seit 2016 führt er das Team Europarecht und hat das Gefühl, beruflich angekommen zu sein.
„Ich gratuliere mir jeden Tag zur Entscheidung, hier gelandet und geblieben zu sein“, sagt er und meint die Arbeitsbedingungen und die Atmosphäre an der Wiener Fakultät. Allerdings: Ganz so einfach war diese berufliche Entscheidung vor knapp drei Jahren nicht. Thomas Jaegers privater Lebensmittelpunkt ist seit eineinhalb Jahrzehnten Salzburg. Dort leben sein Mann, ein Lehrer, und seine gerade einmal zweieinhalbjährige Tochter. Sein achtjähriger Sohn hingegen lebt in Mauer. „Wir sind eine Regenbogenfamilie“, sagt Jaeger mit großem Selbstverständnis. Nach Wien an die Universität habe er sich ja auch schon lange geoutet beworben. „Mein Schwulsein war nie Thema, warum auch?“ Wochentags jedenfalls forscht Jaeger quasi nonstop und versucht, sich die Wochenenden frei zu halten. „Das entspricht meinem Rhythmus“, sagt er und nimmt einen Schluck Tee.
Thomas Jaeger ist ursprünglich Kärntner, wurde 1977 in Klagenfurt geboren. Sein Elternhaus sei künstlerisch geprägt gewesen, der Vater Architekt, seine Mutter Malerin. Er besuchte das bildnerische Gymnasium Viktring, Jaeger entschied sich jedoch „mangels künstlerischen Talents und aus Furcht vor menschenleerer Laborarbeit“ für ein Studium der Rechtswissenschaften. 1995 übersiedelte er nach Wien, inskribierte zusätzlich auch Ethnologie, Politikwissenschaft und Philosophie. Schließlich habe er sich aber auf Jus verlegt, weil er dort „das Gefühl hatte, einen Beitrag für die Gestaltung einer Gesellschaft leisten zu können“, erinnert er sich. Einblicke in die Verwaltung brachte ihm der Zivildienst im Innenministerium. Thomas Jaeger absolvierte ein Praktikum am UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, ein postgraduales Europarechtsstudium an der Universität Leuven in Belgien, 2003 bekam er Einblicke bei der Beschwerdekammer des EU-Amts für geistiges Eigentum in Alicante.
Seine weiteren Karriereschritte: Nach einem für ihn eher freudlosen Ausfl ug in die Welt der Anwaltei entschied er sich 2003, eine Stelle am Institut für Europarecht in Salzburg bei Thomas Eilmansberger anzunehmen – ein richtungsweisender Glücksfall, denn das akademische Leben sagte ihm voll zu. Nach vier Jahren wechselte er an das Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht nach München und habilitierte sich dort, ohne jedoch seinen Lebensmittelpunkt in Salzburg aufzugeben. Nach Lehrstuhlvertretungen in Hannover und an der Universität München wechselte er 2016 nach Wien. Als Jurist will er einem Vorwurf entgegenwirken, den er als Kind von seiner Großmutter hörte. Sie sagte stets, Juristen würde es nicht brauchen. Rechtswissenschaften, widerspricht Jaeger, betreiben keine Meinungsmache, sondern fußen auf belastbaren Argumenten. „Wir gestalten eine Gesellschaft nach Regeln, die sich bewährt haben oder bewähren sollen“, sagt er und sieht sich als Mitwirkender in diesem Designprozess. Dazu gehört auch sein Engagement als Autor und Herausgeber. Für MANZ hat Thomas Jaeger die Mitarbeit beim Europarechtskommentar zu EUV und AEUV übernommen. Er gibt ihn gemeinsam mit Karl Stöger heraus. Mit dem Verlag selbst ist er aber über zahlreiche Veröffentlichungen schon seit Beginn seiner Laufbahn verbunden.
„Wir gestalten eine Gesellschaft nach Regeln, die sich bewährt haben oder bewähren sollen“
Apropos Buch: Thomas Jaeger liest sehr gern, Franz Schuh ist einer seiner Lieblingsautoren, er mag alte Musik, Theater und Sport und trifft gern Freunde. Religion verschafft ihm Erdung im Leben, sagt er. Eine ziemlich breite Palette also, so wie die Auswahl an Tees in seinem Büro, die ihn im fünften Stock des Wiener Juridicums auf Betriebstemperatur halten.